Die Autonomiephase
Zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Wunsch nach Freiheit
„Franziska, ich kann nicht mehr! Wenn ich ehrlich bin, will ich einfach mein altes Leben zurück!“ Sven sitzt zusammengekauert auf dem kleinen Kita-Stuhl und wartet auf seinen Sohn, der mal wieder nicht mit nach Hause möchte. Und das natürlich, nachdem er morgens schon nicht in die Kita wollte.
Ich drehe mich zu Sven um und lächle ihn milde an. „Ich weiß“, sage ich, „die Autonomiephase verlangt allen viel ab.“
„Ja, aber das kann doch nicht sein, dass sich alles um den tyrannischen Willen eines 2-jährigen dreht. Franziska, ich KANN NICHT MEHR! Ständig mache ich alles falsch, komme entweder zu früh oder spät, schneide Brote falsch durch, schütte Milch in die falsche Tasse. Ständig mache ich entweder zu viel oder zu wenig. Ich kann einfach nicht mehr. Meine Frustrationsgrenze ist erreicht. Ich wieß, ich wollte nie so ein Vater werden aber manchmal habe ich einfach Lust rumzuschreien und dem ganze Theater einen Riegel vorzuschieben.“
Entwicklungsphasen: Alles eine Frage der Einstellung?!
Svens Kind befindet sich in der sogenannten Autonomiephase. Früher hat man diese Entwicklungsphase weit weniger wertschätzend Trotzphase genannt. Im englischsprachigen Raum spricht man auch von den „Terrible Twos“, was auch einen Hinweis auf das Alter der Kinder gibt.
„Das Problem ist allerdings nicht dein Kind, Sven! Sondern dein Erziehungs-Mindset!“
„Mein was?“ Sven schaut mich mit großen Augen an.
„Das Erziehungs-Mindset ist die innere Haltung, die du als Vater einnimmst und die bestimmt welchen Glaubenssätzen im Bezug auf Erziehung du folgst:
- Durch welchen „Filter“ du das Verhalten deines Kindes betrachtest
- Welche Werte du oben auf deine Agenda schreibst
- Und wie du letztlich auf dein Kind reagierst“
Sven schaut immer noch ungläubig: „Und was hat das genau mit dem terroristischen Verhalten von meinem Junior hier zu tun?“
„Nun ja“ sage ich. „Es gibt ein Erziehungs-Mindset, das ist besonders fies, denn es macht die Autonomiephase so anstrengend: Ich nenne es das „Service-Mindset“:
Als dein Kind ein Baby war, da hast du dich vielleicht für einen bedürfnisorientierten Umgang entschieden: Wenn dein Baby geweint hat, dann hast du es hoch genommen, getröstet, ihm etwas zu Essen gegeben oder die Windel gewechselt. So hast du das Bedürfnis deines Kindes gestillt. Sobald deine Handlung einen positiven Effekt hatte, hast du dich auch besser gefühlt.
Mit jedem Bedürfnis, das du bei deinem Baby gestillt hast, hat sich eure Bindung gefestigt. Daraus ist etwas entstanden, was man in der Entwicklungspsychologie den „Kreis der Sicherheit“ nennt: Eine sichere Eltern-Kind-Bindung oder eben auch eine tragfähige Beziehung!
Mit der Zeit wird diese Interaktion allerdings immer komplexer. Mittlerweile äußert dein Kind nicht mehr nur die elementaren Bedürfnisse, wie Müdigkeit und Hunger sondern es entwickelt zunehmend auch Wünsche.“
„Allerdings!“ sagt Sven matt.
„Ja und hier wird es spannend, denn wenn du jetzt in der inneren Haltung bleibst, dass du nur zufrieden sein darfst, wenn es dein Kind ist, dann rutschst du automatisch ins Service-Mindset, in dem du versuchst dein Kind hauptsächlich zufrieden zu stellen. Und vielleicht hast du die Erfahrung schon mal gemacht, dass es schlimmer wird, umso mehr du versuchst deinem Kind jeglichen Wunsch zu erfüllen, damit es endlich zufrieden sein möge.
Spätestens jetzt brauchst du 2 Dinge:
- Eine klare Vorstellung davon, was dir wichtig ist und
- einen konstruktiven Umgang mit Gefühlen (deinen eigenen und denen deines Kindes)
Umso klarer dir deine eigenen Werte und Prinzipien sind, umso leichter fällt es dir deinem Kind Klarheit und Orientierung zu bieten. Was wiederum herausforderndes Verhalten bei deinem Kind verringert. Denn ein schwieriges Verhalten von Kindern ist nicht selten die simple Frage: Wie machen wir das hier???“
Svens Augen leuchten auf: „Du meinst, mein Kind interessiert sich indirekt für meine Meinung und hat nur eine ziemlich schräge Art mir das mitzuteilen?“
„Emotional unreif würde ich es nennen“ entgegne ich, „aber ja, so kann man es sagen!“
„Und ich kann mein Kind zufriedener machen, in dem ich klarere Vorgaben mache? Das klingt unglaublich.“
„Ja, genau so ist es. Dein Kind sucht nach Sicherheit und Orientierung und du kannst ihm das durch einen klar definierten Rahmen geben. Probier’s doch einfach mal aus:
- Stelle keine Fragen, wenn du eigentlich eine Aussage treffen möchtest: Ok, es ist Zeit zu gehen! Anstatt: Wollen wir gehen?
- Biete deinem Kind immer nur eine kleine Auswahl an: Anstatt „such dir Socken aus der Schublade aus“, gib nur zwei oder drei zur Auswahl.
- Gib im Alltag klare Routinen vor und halte die Abläufe möglichst immer ein, auch wenn dein Kind versucht die Regeln zu weiten. Denk dran: Dein Kind schwingt zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Routinen helfen sich in Übergangssituationen zurecht zu finden und etwas über die Welt zu lernen
- Wenn dein Kind emotional auf eine Regel reagiert begleite dein Kind durch diesen Gefühlssturm. Kleine Kinder können sich noch nicht selbst beruhigen, sie brauchen dafür einen „liebevollen Erwachsenen“